Allerseelen – Definition, Bedeutung und Tradition im Kirchenjahr

Allerseelen ist ein bedeutender Gedenktag der römisch-katholischen Kirche, der jährlich am 2. November begangen wird und allen verstorbenen Gläubigen gewidmet ist. Der Begriff leitet sich vom lateinischen „In commemoratione omnium fidelium defunctorum“ ab, was übersetzt „Tag des Gedenkens an alle verstorbenen Gläubigen“ bedeutet. Dieser besondere Tag findet einen Tag nach dem Hochfest Allerheiligen statt und bildet zusammen mit diesem ein spirituelles Doppelfest zu Beginn des Novembermonats.

Allerseelen – Definition, Bedeutung und Tradition im Kirchenjahr
Allerseelen – Definition, Bedeutung und Tradition im Kirchenjahr
Allerseelen – Definition, Bedeutung und Tradition im Kirchenjahr

Theologische Bedeutung und kirchliche Lehre

Im Zentrum von Allerseelen steht das Gedenken an die Seelen aller Verstorbenen, insbesondere jener, die sich nach katholischem Glauben noch im sogenannten Fegefeuer befinden. Nach der Lehre der katholischen Kirche ist das Fegefeuer ein Ort oder Zustand der Läuterung und Reinigung, den Seelen durchlaufen müssen, bevor sie in die vollkommene Gemeinschaft mit Gott im Himmel eintreten können. Die Kirche lehrt, dass „nichts Unreines in den Himmel kommen kann“ und die Seelen daher einer Reinigung von den Folgen ihrer Sünden bedürfen.

An Allerseelen beten die Gläubigen für diese sogenannten „Armen Seelen“ im Fegefeuer. Durch Gebete, Fürbitten, Almosen und das heilige Messopfer soll die Zeit der Läuterung für die Verstorbenen verkürzt werden. Die Qual im Fegefeuer besteht dabei nach katholischer Vorstellung darin, dass der Verstorbene zwar die vollkommene Gegenwart und Liebe Gottes bereits spürt, sich aber aufgrund seiner noch nicht gesühnten Sünden dieser Liebe nicht würdig fühlt.

Historische Entwicklung und Ursprung

Die Einführung von Allerseelen geht auf Abt Odilo von Cluny zurück, der um das Jahr 998 (nach anderen Quellen 1028/30) diesen Gedenktag zunächst für alle von Cluny abhängigen Klöster festlegte. Das Dekret Odilos aus dieser Zeit ist noch erhalten und markiert den Beginn einer weitreichenden Tradition. Von dem einflussreichen Benediktinerkloster Cluny in Burgund aus verbreitete sich der Allerseelentag rasch in der gesamten lateinischen Kirche.

Für Rom ist das Fest erst seit Anfang des 14. Jahrhunderts bezeugt. Im 15. Jahrhundert wurde Priestern in Valencia erstmals erlaubt, an Allerseelen drei heilige Messen an einem Tag zu feiern – eine Praxis, die sich später auf ganz Spanien und Portugal ausdehnte. Aufgrund der vielen Kriegstoten des Ersten Weltkrieges gestattete Papst Benedikt XV. ab 1915 diese Gepflogenheit für die gesamte katholische Kirche.

Das Requiem – Herzstück der Allerseelenliturgie

Im Mittelpunkt der Allerseelenfeiern steht das Requiem, die heilige Messe zum Gedächtnis der Toten. Die Bezeichnung leitet sich vom lateinischen Eingangsgebet „Requiem aeternam dona eis, Domine“ ab, was „Ewige Ruhe schenke ihnen, o Herr“ bedeutet. Die Gemeinde bittet im Gottesdienst um die Vollendung der Verstorbenen bei Gott und ihre Befreiung aus dem Zustand der Reinigung.

Die Liturgie des Requiems unterscheidet sich von einer gewöhnlichen Messe: Die liturgische Farbe ist Violett oder Schwarz, das Gloria wird ausgelassen und anstelle des Halleluja-Rufs wird der Tractus gesungen. Das Requiem kann als Votivmesse nicht nur an Allerseelen selbst, sondern auch an Jahres- oder Gedenktagen für Verstorbene gefeiert werden.

Der Allerseelenablass – besondere Gnade für die Verstorbenen

Von herausragender Bedeutung für Allerseelen ist der Allerseelenablass, der täglich vom 1. bis zum 8. November gewonnen werden kann. Ein Ablass ist nach katholischer Lehre der Erlass zeitlicher Sündenstrafen vor Gott für Sünden, deren Schuld bereits getilgt wurde. Der Allerseelenablass kann ausschließlich den Verstorbenen zugewandt werden und soll ihre Zeit im Fegefeuer verkürzen.

Zur Gewinnung des vollkommenen Allerseelenablasses sind folgende Bedingungen erforderlich: Empfang des Bußsakraments (Beichte), entschlossene Abkehr von jeder Sünde, Empfang der heiligen Kommunion sowie Gebet in der Meinung des Heiligen Vaters. Zusätzlich muss am Allerseelentag selbst eine Kirche oder Kapelle besucht und das Vaterunser sowie das Glaubensbekenntnis gebetet werden, oder in der Zeit vom 1. bis 8. November ein Friedhofsbesuch mit Gebet für die Verstorbenen erfolgen.

Brauchtum und Volksfrömmigkeit

Allerseelen ist in den Alpenländern mit zahlreichen Volksbräuchen verbunden. Der Gräberbesuch zählt zu den zentralen Traditionen dieses Tages. Die Gläubigen nutzen Allerseelen, um die Gräber ihrer verstorbenen Angehörigen und Freunde aufzusuchen, zu schmücken und ihrer zu gedenken.

Gräbersegnung und Totenfeier

An vielen Orten findet an Allerseelen (oder bereits am Nachmittag von Allerheiligen) der traditionelle Gräberumgang statt. Ein Priester oder Diakon segnet dabei die Gräber – oft mit Weihwasser oder Weihrauch – als Erinnerung an die Taufe und als Ausdruck der Hoffnung auf das ewige Leben. Nach der Segnung haben Angehörige häufig die Möglichkeit, an einer Messfeier teilzunehmen, die manchmal direkt auf dem Friedhof abgehalten wird.

Grabschmuck und Seelenlichter

Ein zentrales Element von Allerseelen ist der besondere Grabschmuck. Die Gräber werden traditionell mit Gestecken, Kränzen oder bepflanzten Schalen geschmückt, die oft mit immergrünen Tannenzweigen abgedeckt werden. Diese grünen Zweige stehen symbolisch für die Hoffnung auf das ewige Leben.

Das Entzünden der Seelenlichter oder Grablichter gehört zu den bekanntesten Bräuchen. Die roten Grabkerzen galten ursprünglich den verlorenen Seelen im Fegefeuer, damit sie den Weg finden. Heute weisen die Lichter vor allem auf die Auferstehung der Toten und auf Christus als „Licht der Welt“ hin. Die leuchtenden Kerzen schaffen besonders am Abend eine besondere, andächtige Atmosphäre auf den Friedhöfen.

Das Licht auf den Gräbern hat dabei mehrfache Bedeutung: Es symbolisiert die Seele des Verstorbenen, dient der liebevollen Erinnerung und soll die Seelen durch das Totenreich zur Ruhe führen. Die Flammen stehen für das ewige Licht und die Hoffnung auf Erlösung.

Allerseelen im Jahreskreis

Durch die Reform der römisch-katholischen Liturgie nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil wurde Allerseelen in der liturgischen Rangordnung den Hochfesten des Herrn gleichgestellt. Das Fest verdrängt daher auch die Feier des Sonntags, wenn der 2. November auf einen Sonntag fällt.

Obwohl die Tradition des Totengedenkens eigentlich Allerseelen zuzuordnen ist, sind Allerheiligen und Allerseelen im Laufe der Jahrhunderte immer mehr zu einem gemeinsamen Doppelfest verschmolzen. Viele Menschen besuchen bereits an Allerheiligen die Gräber und entzünden die Grablichter. Beide Tage zusammen verbinden das Gedenken an die Heiligen mit dem Gedenken an alle verstorbenen Seelen.

Besinnlichkeit und Hoffnung auf Auferstehung

Im Mittelpunkt von Allerseelen stehen der Tod und die Erinnerung an Verstorbene, aber auch die Hoffnung auf ein Leben nach dem Tod. Der Tag soll kein ausschließlicher Trauertag sein, sondern Ausdruck der Verbundenheit mit den Verstorbenen und der christlichen Hoffnung auf Auferstehung. Allerseelen erinnert die Gläubigen an die eigene Vergänglichkeit und bietet gleichzeitig Trost durch die Gewissheit, dass die Seelen der Verstorbenen nicht dem Vergessen anheimfallen, sondern in den Herzen der Lebenden und in den Gebeten der Kirche weiterleben.

An keinen anderen Tagen im Jahr ist der Zustrom zu den Friedhöfen so groß wie Anfang November. Das Gedenken an die Toten ist in den Menschen tief verwurzelt und wird bis heute als wichtiges Ritual zelebriert. In der stillen Atmosphäre der Friedhöfe, erfüllt von leuchtenden Kerzen und geschmückten Gräbern, können die Hinterbliebenen innehalten, ihrer Lieben gedenken und Trost in der Gemeinschaft der Gläubigen finden.